11. Zora Neale Hurston (1891 – 1960)

Zora Neale Hurston wächst in Eatonville (Florida) auf, der ersten (und einzigen) Stadt Nordamerikas, die unter afroamerikanischer Verwaltung steht. Von klein auf hat sie Fernweh, träumt davon, das Ende der Welt zu suchen, wünscht sich ein Reitpferd, um zum Horizont zu reiten – sie bekommt es leider nicht. Ihr Vater ist Prediger und Bürgermeister von Eatonville und ein großartiger Geschichtenerzähler. Als ihre Mutter stirbt, da ist sie gerade mal neun, und ihr Vater erneut heiratet, verläßt sie ihre Familie. Ihre Stiefmutter ist fies zu ihr. Sie ist 14 Jahre alt und ohne Geld. Jetzt, wo sie Eatonville verlassen hat, realisiert sie, dass sie schwarz ist. Auf Photos fällt ihr plötzlich auf, dass sie anders aussieht. Sie findet schwer Arbeit, wird Hausmädchen, spart und spart und spart. Sie geht nach Washington auf das einzige College für Schwarze Mädchen das Zeta Phi Beta und macht endlich, erst mit 27, ihren Schulabschluß.
Sie geht nach New York und bekommt einen Studienplatz am Banard College, einem der Columbia-Universität angehängten College nur für Frauen (Laurie Anderson war dort, oder Patricia Highsmith, Margret Mead – um nur einige zu nennen). Zora studiert bei Ruth Benedikt, der Begründerin der kulturvergleichenden Anthropologie und bei Franz Boas von der Columbia University, weltberühmter Etnologe und Sprachwissenschaftler, den alle nur „Papa Boas“ nennen. Sie finanziert sich ihr Studium mit Maniküre.

Zora ist als schwarze Anthroplogin unterwegs und begibt sich auf die Suche nach den letzten noch überlebenden Sklaven. Und im Jahr 1927 findet sie tatsächlich einen fast Hunderjährigen, Cudjo Lewis (eigentlich Oluale Kossola), der noch auf dem afrikanischen Kontinent (im heutigen Benin) geboren und aufgewachsen war, bis er von Dahoumey nach Alabama verschleppt und fünf Jahre lang als Sklave „gehalten“ wurde. Sie besucht ihn mehrmals für mehrere Tage und läßt sich von ihm alles erzählen, woran er sich erinnern kann. Daraus wird später eines ihrer bekanntesten Bücher: Barracoon.

Barracoon bezeichnet einen Pferch, eine Art Zwinger oder Baracke an der Küste Westafrikas, in der die Versklavten auf ihren Abtransport warteten (bis genügend „Ladung“ für die Überfahrt nach den Amerikas beieinander war). Sie müssen oft monatelang ausharren – viele überleben das nicht. Cudjo kommt 1859 mit dem letzten Boot, der Clothilda, nach Alabma, sie wird dannach verbrannt. (Der Sklavenhandel war längst verboten. Die Clothilda musste bei ihrer Ankunft tagelang im Schilf versteckt gehalten werden).

Exkurs:

Die Sezessionskriege tobten von 1861 bis 1865 (also bis 20 Jahre vor Zoras Geburt). Dannach war Nordamerika vereint (U.S.A.) und die Sklaverei überall offiziell abgeschafft. Aber es gab soetwas wie die Jim-Crow-Gesetze, eine Art Apartheid, also Rassentrennung bis in die 60er Jahre: getrennte Schulen, getrennte Verkehrsmittel, getrennte Kneipen, getrennte Wohnviertel, alles getrennt nach Hautfarbe – Segregation nennt man das (das Gegenteil von Integration).

Benannt sind die Gesetze nach der erfundenen Figur des Jim Crow,
eines stereotypen tanzenden, singenden Schwarzen, der in Musicals meist von einem geblackfaceten weißen dargestellt wurde. Heute dient Jim Crow als Bezeichnung für das umfassende System zur Aufrechterhaltung einer Rassenhierarchie in allen Bereichen der amerikanischen Gesellschaft.

So geht sie vor: Sie reist herum und läßt sich von den Nachkommen der Verschleppten Geschichten erzählen und Lieder vorsingen. Mitgebrachte und heimlich überlieferte und neue, durch die harte Arbeit und die prekäre Lebenssituation entstandene.

 

Zora ist in den 20 er und 30er Jahren Anthropologin. Ihre Lehrer_innen halten große Stücke auf sie. Sie erhält ein Guggenheim-Stipendium, bereist den Süden von Nordamerika und die Karibik mit ihrem Nash-Coupé, das sie auf den Namen Sassy-Susie (freche Susie) getauft hat – um all die Geschichten, Lieder, Tänze und Gebete der schwarzen Bevölkerung zu sammeln. Auf ihren Forschungsreisen zum Voodoo läßt sie sich so weit darauf ein, macht Rituale mit, die sie zur Priesterin ausbilden, dass sie irgendwann die Reißleine ziehen muss, um keinen Schaden zu nehmen.

Exkurs zum Voodoo:
Voodoo ist eine Westafrikanische Religion, die durch die Verschleppung nach Nordamerika und in die Karibik wanderte und sich über die Jahrhunderte stark verändert, d.h. synkretisiert, hat (wie alle Religionen ohne Buch!). „Voodoo“ heißt „Geist“. Im Voodoo sind alle sexuellen Orientierungen akzeptiert.

Zora startet einen kurzen Versuch mit dem Mann ihres Lebens zu leben. Sie scheitert an dessen Ansicht, sie ernähren zu wollen. Das hätte bedeutet, dass sie ihre anthropologische Arbeit aufgibt und der seinen folgt (er war auch Anthropologe). Es kommt zum einem schmerzhaften Bruch.

Dass eine Frau nicht tut, was sie tun will, kommt für sie nicht in Frage.

Am Ende entscheidet sich Zora für die Kunst, für die Schriftstellerei. Franz Boas meckert zu oft an hier herum, sie sei so unsystematisch, zu langsam, ihre Methoden seien nicht nachvollziehbar usw. Er versteht ihr Problem und ihre Vorgehensweise nicht: sie forscht bei ihren eigenen Leuten. Sie ist mittlerweile Akademikerin mit all dem dazugehörigen Habitus. Sie macht sich über ihre Anfänge selber lustig, wie sie in ihre Heimatstadt kommt und alte Bekannte besucht: auf der Veranda ihres Onkels, wo all der Tratsch erzählt wird, all die Geschichten, wo gelacht, gescherzt und getanzt wird. Und sie kommt hin und sagt: können sie mir bitte eine traditionelles Arbeiterliedchen vorsingen. Oder: kennen sie zufällig ein altes Wiegenlied. Da prusten alle nur los. Zora, wie redest du. Sie muss also zurückfinden in ihre altbekannte Kommunikation. Damit haben dann wieder die Akademiker Schwierigkeiten. Also läßt sie den Kram hinter sich und entscheidet sich für die Kunst. Sie schreibt vier Romane und sechs Theaterstücke. In den 1930er Jahren gehört sie zu den bedeutendsten Autor_innen der Harlem Renaissance und ist überhaupt die angesehendste schwarze Autorin der Vereinigten Staaten. Das allein macht sie noch nicht reich. Sie ist ständig auf der Suche nach Stipendien. Da arbeitet ihr der sogenannte „radical chic“ in die Arme. Die New Yorker findet es chic und cool schwarze Künstler_innen zu unterstützen. Auch wenn im Rest des Landes der Ku-Klux-Klan tobt und man den stärksten Anstieg organisierter Gewalt gegen Schwarze verzeichnen kann, seit dem Ende der Sklaverei. (20er Jahre)

„Ich wurde die geheiligte schwarze Kuh von Banard“ schreibt sie in ihrer Autobiographie. Man kann kaum eine Party nördlich des Central Parks finden, bei der Zora nicht anwesend ist und schachtelweise PallMall raucht, mit klappernden Perlenketten oder sonst etwas Auffälligem, damit sich die Leute umdrehen, wenn sie den Raum betritt.

Ihre Texte sind in einem derartig rasanten, rhythmischen Slang geschrieben, dass die deutsche Übersetzung 30 Seiten Fußnoten braucht, um die Entscheidung der deutschen Entsprechung zu erklären, herzuleiten und zu begründen.

In den 70er Jahren gibt es übrigens einen Versuch Zoras Slang ins Deutsche zu übertragen, indem ihr Text in rheinischen Dialekt übersetzt wurde. Leider hab ich kein Exemplar mehr auftreiben können – vielleicht war es dann doch zu peinlich für die Verleger und sie haben es verramscht.

Exkurs zu Harlem Renaissance:
Die Harlem-Renaissance war eine soziale, kulturelle und künstlerische

Bewegung afroamerikanischer Schriftsteller und Maler in den 20er und 30er Jahren. Von Harlem aus verbreitete sich die Bewegung bis nach Europa, vor allem ins französisch sprechende Schwarze Paris. Die Bewegung bestand aus Schwarzen Künstlern und Intellektuellen und aus sogenannten „Negrotarians“, d.h. weißen Unterstützer_innen, wie z.B. der schwule Photograf Carl van Vechten, der die bekannte Photostrecke mit Zora gemacht hat. Außer Zora waren Berühmtheiten wie Nella Larsen, Dorothy West, Bessie Smith, Josephine Baker oder Louis Armstrong oder Duke Ellington mit von der Partie.

5 von 6

Zora hat 1959 einen Schlaganfall und muss Sozialhilfe beantragen. Sie wird in ein Fürsorgeheim aufgenommen und erliegt ihrem Herzleiden. 1960 wird in einem anonymen Grab beerdigt – like a zombie. Bis sie in den 70er Jahren von Alice Walker, der Verfasserin

des Bestsellers „Die Farbe Lila“ wiederentdeckt wird und endlich die Beachtung erfährt, die ihr gebührt. Alice Walker läßt auf Hurstons anonymem Grab einen Grabstein errichten.

Bei einer ihrer Recherchereisen begegnet Zora einem Zombie, bzw. einer Zombie. Sie macht ein Photo von ihr. Es ist das einzige existierende Photo eines Zombies das es gibt (vermutlich).

Wer ist zu sehen auf dem Bild eines Zombies?
Zu sehen ist eine Frau namens Felicia Felix-Mentor, 1907 gestorben und 29 Jahre später photographiert! Von Zora Neale Hurston. Ihr fällt die Frau auf, weil sie sich so seltsam verhält,

so abgeschaltet. Sie recherchiert, wer das ist und es stellt sich heraus, dass sie seit fast 30 Jahren tot ist. Das bestätigen ihr Ehemann und ihr Bruder (der alles geerbt hat). Zora läßt nicht locker und es stellt sich heraus, dass sie bei einem Voodoo-Ritual in Extase geriet und dabei gestorben ist. Das war aber nur ein Scheintod. Sie ist wohl irgendwie nach dem Begräbnis wieder wach geworden, hat sich freigebuddelt und konnte sich an nichts mehr erinnern. Seither lebt sie in einer Klinik für geistig Beeinträchtigte. Ihr Ehemann und ihr Bruder behaupten nichts von all dem Mitbekommen zu haben. Sehr dubios.

Eines der von Zora gesammelten Lieder, welches sie selbst im Seminar vorsingt. Es ist sehr anzüglich und die Zuhörer_innen haben Schwierigkeiten das zu akzeptieren. Einige männlichen Studenten versuchen sie in Misskredit zu bringen, indem sie behaupten, dieses Lied wäre nur Prostituierten vorgesungen worden. Peinliches Schweigen. Bois eine Studentin das Eis bricht, indem sie sagt: La, und eine Prostituierte hat es dann Zora vorgesungen.

Uncle Bud

Uncle Bud’s fine; Uncle Bud is keen.
 Uncle Bud’s got plenty of gasoline.

Uncle Bud, Uncle Bud, Uncle Bud, Uncle Bud. Uncle Bud’s got this; Uncle Bud’s got that.
 Uncle Bud’s got a dick like a baseball bat.

Uncle Bud, Uncle Bud, Uncle Bud, Uncle Bud. Uncle Bud’s got a wife. She’s big and fat.
 She’s got a cunt like a Stetson hat.

Uncle Bud, Uncle Bud, Uncle Bud, Uncle Bud.

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vonpaula

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