Reisen aus politischen Gründen 13. Aphra Behn (1640 – 1689)
Aphras Kindheit liegt im Dunkeln. Es gibt Gerüchte. Ihr Vater ist Barbier, ihre Mutter eine Stillamme. Sie leben in einem kleinen Dorf im Süden Englands, bis ihr Vater auf die britisch-niederländische Kolonie Suriname geschickt wird, um dort angeblich ein paar Inseln zu verwalten. Schon dort beginnt Aphras sozialer Aufstieg. Sie ist zwanzig Jahre und wird von hochrangigen Staatsbeamten als Spionin angeworben, lernt mehrere Sprachen (unter anderem Latein) und verdient sich ihr Geld mit Übersetzungen. Als ihr Vater stirbt kehrt sie zurück nach London. Heiratet angeblich einen Herrn Behn, der Mann stirbt, sie wird Witwe. Das kommt ihr zupass.
Aphra ist in Sachen Spionage unterwegs. In Suriname, wo sie unter dem Codenamen „Astrea“ als Doppelagentin für den englischen und den niederländischen Geheimdienst arbeitet.
(Aphra ist übrigens die allerälteste unserer Protagonistinnen – Sibylla Merian ist sieben Jahre nach ihr auf die Welt gekommen und war leider nicht! gleichzeitig mit ihr in Suriname) Nebenbei schreibt sie Romane gegen Sklaverei. Was ihr in einer Kolonie nicht gerade Freundschaften einbringt. Aber sie ist eine Meisterin der Verstellung. Eine Lügnerin erster Klasse. Ob sie mit diesem gewissen Kaufmann namens Behn wirklich verheiratet war, steht in den Sternen. Auf jeden Fall ermöglicht ihr sein früher Tod im Status einer Witwe zu leben, d.h. sie hat die Freiheit Wirtshäuser oder Theater alleine aufzusuchen, ihr Geld selbst zu verwalten, auch wenn sie mehrmals in den Schuldturm gesteckt wird, weil sie keins mehr hat. Der Geheimdienst zahlt schlecht.
(Ein Schuldturm ist bis ins 19. Jahrhundert ein Sondergefängnis für Personen, die
ihren Zahlungsverpflichtungen nicht nachkommen. Die Eingesperrten müssen tagsüber arbeiteten, um ihre Schulden zurückzahlen zu können und nachts im Kerker schlafen).
Aphra wird in eine arme Familie geboren. Ist aber reich, seit sie schreibt. Als sich mit der Rückkehr der Monarchie, die Türen der Theater wieder öffnen, erfährt sie eine immense Anerkennung. Auch das englische Publikum sehnt sich nach Vergnügen und frivoler Ausgelassenheit, nach dem Tanz- und Theaterverbot unter Oliver Cromwell. Zum ersten Mal in der Geschichte Englands dürfen nun auch Frauen den Schauspielerberuf ausüben. Trotz zum Teil entrüsteter Kritiken, gelingt es ihr immer wieder das Blatt zu ihren Gunsten zu wenden. Wahrscheinlich, weil sie den Stier bei den Hörnern packt! Sie erwidert öffentlich auf einen Veriss mit den Worten „Das Stück hat kein anderes Manko als das, dass eine Frau es geschrieben hat! Hätte es ein Mann verfasst – selbst der dümmste, gedankenloseste, heimtückischste Schreiberling der Stadt – es hätte als ein höchst bemerkenswertes Stück gegolten!“
England hatte sich im 16. Jahrhundert gespalten. Ein Teil war katholisch, der andere protestantisch oder anglikanisch oder lutherisch oder puritanisch – wie auch immer man das nennen will. Es ging ewig hin und her. 1660 wird die Monarchie wieder hergestellt. Endlich werden die Theater wieder geöffnet und dem puritanischen Gehabe der Garaus gemacht. Aphra ist selbstverständlich auf der Seite des Königs (Karl dem II), schließlich schreibt sie Theaterstücke wildesten Inhaltes, melodramatisch voller sexueller Anzüglichkeiten.
Aphra sieht die Ehe, ähnlich wie Emma Goldmann 200 Jahre später, in ihrer herkömmlichen, die Frau versorgenden Form, in die Nähe der Prostitution. Sie bleibt lieber Witwe und pflegt eine langjährige Affäre mit John Hoyle, einem in London bekannten bisexuellen Mann und Schürzenjäger. Sie liebt Männer und Frauen gleichermassen und schreibt auch noch darüber!
1670 wird Aphras Stück The Forc’d Marriage uraufgeführt. Darin geht es um eine Heldin, die einen Mann heiraten muss, den sie nicht liebt. Mit diesem Stück trifft sie den Zeitgeist. Zwischen 1670 und 1687 verfasst sie für die Londoner Kompagnie „Duke’s“ achtzehn Stücke! Sie kann mittlerweile davon leben und ist somit die erste Berufsschriftstellerin der Welt. Das wird ihr mit aller Härte geneidet. Es gibt in London nach dem grossen Brand von 1666 (80% der Stadt brannte ab) nur noch zwei Theater und eins davon wird so ziemlich andauernd von Aphra besetzt. Übelste Gerüchte werden von den männlichen Kritikern über sie verbreitet, sogar Briefe gefälscht und vieles Gemeine mehr. Aber sie schlägt mit spitzer Feder zurück. Gnadenlos verhöhnt sie jeden Kritiker bis zur Lächerlichkeit. Die Zeitungen drucken es! Skandale erwünscht!
Ihr bekanntester Roman ist „Oroonoko“, ein Melodram. Er spielt in den Anfangszeiten des Sklavenhandels, in dem Oroonoko, ein Königssohn aus Koramantien, wahrscheinlich das heutige Ghana, heimtückisch entführt, nach Suriname verschleppt und versklavt wird. Aphra Behn erzählt die Geschichte so, als habe ihr Oroonoko die Geschichte selbst erzählt. Heute gilt das Stück als erstes zentrales Manifest des Abolitionismus, also den Kampf um die Abschaffung der Sklaverei.
Aphra stirbt nicht arm, aber früh. Ständig war sie krank und so verlassen sie ihre Lebensgeister mit grad mal 49 Jahren. Auf ihrem Grabstein steht: “Hier liegt der Beweis, dass selbst ein reger Geist nicht vor Sterblichkeit schützt“. Auch sie wird durch eine andere Schriftstellerin im 20. Jahrhundert wiederentdeckt, nämlich durch Rita Sackville- West (1892-1962), eine Freundin von Virginia Woolf (1882 – 1941). Die wiederum schreibt über Aphra: „Alle Frauen müssten gemeinsam Blumen auf Aphra Behns Grab streuen…, denn sie war es, die den Frauen das Recht verschaffte zu sagen, was sie denken.“