3. Daisy Bates (*16. Oktober 1859,  † 1951) 

portrait daisy bates

Porträt von Daisy Bates:  Acryl auf Papier – Julia Sand, 2021

Daisy Bates
(*16. Oktober 1859,  † 1951)
 

Sie sitzt da.

Vor ihrem Zelt.

Es hat jahrelang nicht geregnet.

Ihre Augen sind voller Sand.

Sie schreibt blind.

Daisy Bates wird in Irland geboren. Wie, warum und wann genau sie nach Australien kommt, ist von vielen Gerüchten umwoben. Sie selbst trägt zu dieser Verwirrung bei. Mal sei sie eine Adlige, mal fliehe sie das Gefängnis, mal habe sie einen journalsitischen Auftrag gehabt, mal wird sie zum „Auskurieren“ der Tuberkulose nach Australien geschickt. Sie sei eine Aufschneiderin, sagt man. Und sie sei von umwerfender Schönheit, sagt man. Sie heiratet innerhalb von elf Monaten zwei Männer (beides Pferdezureiter von Beruf), die nichts voneinander wissen. Der erste kommt kurz nach der Heirat ins Gefängnis, der zweite ist dem ersten so ähnlich – man könnte meinen, sie habe ihn ausgesucht, um den Verlust des ersten nicht erleiden zu müssen. Als der erste viele Jahre später gehenkt wird, ist sie sehr traurig. Mit dem zweiten hat sie einen Sohn, der sie ab und an in ihrem Wüstenzelt besucht. Der Sohn. Arnold Hamilton Bates, den sie zeitlebens William nennt.

Mitte des 19. Jahrhunderts bricht eine fatale Hungersnot in Irland aus – Kartoffelfäule, 1 Million Menschen verhungern, eine weitere Million wandert aus. 

Daisy Bates erreicht Australien 1880. Sie arbeitet auf einer Viehzuchtstation als Gouvernante. Nach 25 Jahre verläßt sie Perth allein, um 40 Jahre lang bei den sogenannten Aborigines zu leben unter den gleichen einfachen Bedingungen wie diese. In einem Zelt. Auf einem mit Seetang gefüllten Leinensack. Sie hat eine Kiste als Gepäck. Darin befindet sich ihr Geschirr und ihre Kleidung: ein Stapel weisser Handschuhe, ein Stapel steifer Kragen, ein Stoß weisser Schleier, ein Stoß schwarzseidener Krawatten, mehrere weisse Gürtel, dunkle Wollstrümpfe, lange Röcke. Alles  identisch, bis auf die Hüte. Ansonsten Feile, Schnüre, Nägel, Papier, Stifte und einen Revolver. Und Tee. Das Teeritual behält sie täglich bei. Auch bei Sandsturm. Diesen Respekt ist sie sich schuldig. Die Aborigines verehren sie als „Kabbali“, als „großmütterliche Person“, doch es ist unklar, wie sie wirklich gesehen wird. Am Ende kann sie ihnen nicht wirklich helfen.

Nacktmulle: Bildquelle dpa

Geld treibt sie auf, indem sie z.B. Artikel für den „Australasien“ oder die „Times“ verfasst (im Laufe ihres Lebens veröffentlicht sie 270 Artikel in Zeitschriften). Oder indem sie bis dahin unbekannte Pflanzen und Tiere an das Naturhistorische Museum in London verkauft. Unter anderem den Nacktmull, das bis heute einzige bekannte Säugetier, das „staatsähnlich“ organisiert lebt, mit Königin, Arbeiterinnen und „Drohnen“, ähnlich der Bienen, Termiten und Ameisen. Doch als sie diese unbehaarten Nagetiere in Alkohol eingelegt nach England schickt, ist man der Meinung, dass Gott ein so häßliches Tier nicht erfunden haben kann und wirft es auf den Müll.

Oder sie verkauft kultische Gegenstände der Aborigines an das Londoner Institut für Anthropologie oder sie fertigt Sprachlisten an, die sie ebenfalls dorthin verkauft. 

Daisy Bates sammelt Worte, Grammatiken, Sprache, wird zur Sprachbewahrerin der Aborigines (von den über 300 Stammessprachen sind heute noch 100 erhalten). 

Außerdem bekommt sie Geld von der australischen Kolonialregierung. Sie soll die Kultur der Aborigines studieren. Das tut sie, doch ihren Beschwerden bezüglich des Umgangs der Siedler mit „ihren Leuten“, wie sie die Ureinwohner Australiens, nennt, findet kein Gehör. Sie reist 1914 dafür extra zu einer Tagung der British Association for the Advancement of Science nach Adelaide. 600 Meilen entfernt von ihrem Zelt. Sie reist in einem kamel-gezogenen Buggy!

Vor ihrer Abreise schreibt sie die Rede, die sie halten wird, in ihr Tagebuch: 

Daisy Bates(Ausschnitt): „Ist jemandem von Ihnen bewusst, was entlang der Bahnlinie passiert? Wie Mädchen im Alter von zehn Jahren oder jünger aus ihren Familien gestohlen und von Banden weißer Männer vergewaltigt und misshandelt und dann wie Müll weggeworfen werden? Wissen Sie, wie schnell Syphilis einen Körper befallen kann und wie sie einen Menschen nach Verwesung stinken lässt? Ich habe so viele junge Männer und junge Frauen gesehen, die strahlend und nackt aus der Wüste kamen, und dann musste ich sie innerhalb kurzer Zeit begraben … Wenn einer von Ihnen in der Nähe der Bahnlinie leben würde, wie ich es in den letzten sechzehn Jahren getan habe, dann würden Sie wissen, wie gefährlich die herumstreunenden Weißen sein können, und ich bin sicher, Sie wären genauso entsetzt über ihre Wildheit und Brutalität, wie ich es bin. Ich bin froh, dass Sie mich eingeladen haben, um vor Ihnen zu sprechen, weil es meinen Glauben an die Gerechtigkeit der Justiz und an das Britische Empire wiederherstellt; einen Glaube, der, wie ich zugeben muss, in letzter Zeit erschüttert wurde…“

Wenige Tage nach dieser Rede bricht der erste Weltkrieg aus und das Interesse an der ursprünglichen Bevölkerung Austaliens ist vom Tisch.

Ihre Forschungsergebnisse werden zwar von dem Anthropologen Radcliffe-Brown beachtet und kopiert (und übrigens unter seinem Namen, ohne Erwähnung der Quelle,  veröffentlicht) – die Rede nimmt sich jedoch niemand zu Herzen. Enttäuscht kehrt sie zurück in ihr Zelt. 

In den darauffolgenden Jahren zieht sie sich zunehmend zurück, lebt allein für ihre Forschung und „ihre Leute“, wird krank, läßt sich von keinem der weissen in ihrer Gegend mehr helfen, gibt es überhaupt auf mit weissen zu sprechen. Sie erntet eh nur Hohn und Unverständnis.

„Mein ganzes Leben ist eine Doppelbelastung: Forschen und Haushalt, also Wasser holen, Geld und Essen beschaffen für alle, die Kranken versorgen und selber gesund bleiben! Ich werde bitter, weil das Schicksal der Aborigines dem Untergang geweiht ist und niemand auf mich hören will!“

Die australische Regierung betrachtet sie mehr und mehr als Ärgernis, weil sie deren Assimilationspolitik durchkreuzt, die Kirche stellt sich ebenfalls gegen sie, weil sie keine Christen erzeugen will. Schließlich wird sie mit Gewalt in ein Altersheim nach Adelaide verfrachtet. So erzählt Julia Blackburn in ihrem Buch „Daisy Bates in der Wüste“: 

„Eines morgens im Januar 1945 kam ein Krankenwagen mit einem Fahrer, einer Krankenschwester und einer Polizistin. Als sie versuchten sie mitzunehmen, schrie und heulte sie wie ein wildes Tier, und selbst im Wagen noch kämpfte sie so verzweifelt, dass es ihr gelang, die Tür zu öffnen; sie stürzte hinunter auf die schmutzige Strasse“. Man steckte ihre Behausung in Brand und behauptete, dass sie gestorben sei. Das war ein Gerücht. 

Flagge der Aborigines-Australien- Quelle: Wikipedia

Als sie 1951 mit 88 Jahren stirbt werden die letzten Aborigines aus ihrem Camp verjagt, weil die australische Regierung ein Gebiet für Atomversuche braucht.

Daisy Bates hinterläßt 99 Ordner, die in der Commonwealth National Library in London eingesehen werden können. 1938 publizierte sie „The Passing of the Aborigines“, eine umfangreiche Beschreibung ihres 40järigen Zusammenlebens mit den Mitgliedern der ursprünglichen Bewohner Australiens.

Ihr Leben findet Niederschlag in der Oper „The Young Kabbarli“, 1964 geschrieben von Lady Casey und vertont von Margaret Sutherland.

Text: Elfe Brandenburger

 

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