6. Anne Lister (1791 – 1840)
Anne Lister wird am 3. April 1791 in Halifax geboren und nur 49 Jahre alt. Sie ist das älteste Kind in der Familie und erbt den Familiensitz Shibden Hall.
Wir sind in England des 19. Jahrhunderts. Frauen werden nicht mehr von der Thronfolge ausgeschlossen.
Ab 1837 wird Queen Viktoria das Land regieren bis 1901 und ab 1952 Queen Elisabeth II, wie ihre Namensvetterin Elisabeth I, die Tudor (1533-1603) im 16. Jahrhundert zur Shakespeare-Time (1564-1616).
Anne Lister ist adlig und kann damit bis zu einem bestimmten Grad die Ettikette bestimmen. Noblesse oblige, Adel verpflichtet, muss Vorbild sein, kann aber auch bis zu einem gewissen Grad bestimmen, was als vorbildlich gilt. Oder sich darüber hinwegsetzen. Sie verbringt nicht viel Zeit in ihrer sogenannten Stammfamilie, sondern zieht es vor, auf dem Familiensitz ihrem Onkel James bei der landwirtschaftlichen Arbeit oder bei der Jagd zur Hand zu gehen.
Anne ist selbstbewußt, auch in Bezug auf ihr körperliches Wohlbefinden. Sie trägt nur bequeme Kleidung, sie liebt Frauen, weil es ihr so passt. Sie erhält Schmähbriefe, wird im Dorf spöttisch „Gentleman Jack“ genannt – aber da läßt sie einen drauf. Ist sie rüpelhaft? Wir wissen es nicht. Vermutlich ist sie dandy-esque, wie der spätere Oscar Wilde (1854-1900) oder wie der neue Sherlock Holmes (Benedict Cumberbatch). Sie kleidet sich ab einem bestimmten Zeitpunkt nur noch schwarz, das ist elegant und respektabel. Das will sie sein: Elegant und respektabel. Und reich. Hosen trägt sie nie. Auch nicht beim Klettern. Sie ist eine echte Abenteuererin, wie eine Extremsportlerin, besteigt sie zwei Berge als erster Mensch überhaupt. Sie ist eine Heldin.
Anne Lister ist eine Frau, die Frauen liebt, von Anfang an. 1805 im Internat in York (Manor House School in York) fängt es an. Anne ist 13 Jahre. Und nicht nur das. Sie ist auch eine Frau die alles, alles aufschreibt. Alles, was ihr widerfährt und alles was sie tut und alles was ihr durch den Kopf geht. Sie will vor sich selbst keine Geheimnisse haben. Sie schreibt 26 Tagebücher, fette Kladden in feinstes Rindleder gebunden und über tausend Briefe. Sie schreibt obsessiv und schwer lesbar. Nicht, dass ihre Handschrift schwer zu entziffern ist, das auch, nein, sie schreibt ein Sechstel ihrer Texte in Geheimschrift. Einer selbstentwickelten Geheimschrift. Einer Kombination aus altgriechischem Alphabet, Tierkreiszeichen, absurder Interpunktion und mathematischen Symbolen.
Dieser Code wird erst 90 Jahre nach ihremTod von einem ihrer Nachfahren, John Lister (1847– 1933) und seinem Freund entschlüsselt werden. Dieser Freund ist so erschüttert vom pikanten Inhalt der entschlüsselten Passagen, dass er dazu rät, die Bücher schleunigst zu verbrennen. John Lister befolgt diesen Rat nicht, sondern versteckt die Tagebücher in Shibden Hall, dem Familiensitz der Listers, hinter einer Wandvertäfelung. Sie werden erst in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts gefunden und veröffentlicht. Und, im immer noch puritanischen England, für einen Schwindel gehalten.
Die Tagebücher enthalten Anne Listers Gedanken über das Wetter, über soziale Ereignisse, nationale, politische Ereignisse und ihre geschäftlichen Interessen im landwirtschaftlichen Bereich und im Kohleabbau. Und natürlich detaillierte Beschreibungen ihrer Beziehungen zu Frauen. Und natürlich ausführliche Beschreibungen ihrer abenteuerlichen Reisen. Diese sind es, die uns hier in erster Linie interessieren, auch wenn sie von ihren Liebesabenteuern nicht wirklich zu trennen sind. Anne Lister hat nicht nur den unbedingten Drang unterwegs zu sein, sie hat auch den Wunsch, nicht alleine zu reisen. Sie ist auf der Suche nach einer idealen Begleiterin durch ihr ereignisreiches Leben:
„Eins wünsche ich mir mehr als alles andere. Ohne dieses eine kann ich auf dieser Welt nicht glücklich sein. Ich bin nicht dafür gemacht, allein zu leben. Ich muss eine Gefährtin um mich haben. Im Lieben und Geliebtwerden würde ich mein Glück finden.“, schreibt sie am 21. April 1823.
Anne Lister reist aus Vergnügen, auch wenn das Vergnügen beschwerlich ist – genau das würde ich Abenteuerlust nennen. Ich kenne das. Ohne Abenteuer macht das Unterwegssein keinen Spass. In der Aufregung liegt die Entspannung. Im Adrenalin.
Anne unternimmt weitläufige Wanderungen rund um Shibden Hall und Halifax. Eine tückische Moorlandschaft. Und sie ist eine begeisterte Reiterin. Brescht durch die Yorkshire Moors mit einem Pferd namens Lord Byron (1788-1824, romantischer Dichter). Ob das Pferd wirklich so heiß?nZumindest im Theaterstück das Emma Donoghue (1969, irisch-kanadische Schriftstellerin), 2015 über Anne Lister geschrieben hat.
1819 bereist sie zum ersten Mal den europäischen Kontinent. Mit Patentante Anne Lister senior nach Paris. Später mit verschiedenen Reisegefährtinnen nach Belgien, Südfrankreich, Italien, an den Rhein und in die Schweiz.
Dort entdeckt sie das Bergsteigen, noch bevor der Alpinismus erfunden ist, bekanntlich von den Engländern, die das Bergsteigen ab der Jahrhundertmitte in grossem Stil betreiben. Anne wird als erste Frau den Monte Perdido (3355m) in den spanischen Pyrenäen besteigen und später auf ihrer Hochzeitsreise als erster Mensch den Vignemale (3298m), den höchsten Berg der französischen Pyrenäen. Dazu brauchte sie erst mal zehn Stunden, um den Gipfel zu erreichen, und weitere sieben Stunden, um wiederabzusteigen.
Und immer wieder Paris. Was macht sie dort eigentlich? Durch die Stadt rennen, durch Museen rennen und studieren. Sie besucht Vorlesungen in Anatomie und Philosophie. Sie liest sich durch die Bibliothèque nationale de France. Spricht sie Französisch? Mais biensûre! Sie übersetzt Rousseau ins Englische. Zu ihrem eigenen Vergnügen. Und sie liest ihre eigenen Tagebücher! Das mag sie besonders gern. Das ist, wie das eigene Leben nochmal erleben. Schreibt sie. In ihr Tagebuch und liest es gleich nochmal.
Sie ist eine obsessive Schreiberin, hat immer einen Bleistift zur Hand und macht sich Notizen. Es gibt Leute, die trauen sich garnicht mehr in ihrer Gegenwart die Meinung zu äußern, weil sie befürchten, dass Anne es sofort aufschreibt.
Auch auf der britischen Insel reist sie herum. Nach Schottland, Südengland und Whales, wo sie den mittlerweile sehr alten Ladies von Llangollen einen Besuch abstattet. Leider werden sie nicht so richtig warm miteinander. Die eine schläft, die andre, Sarah, scheint kein grösseres Interesse an Anne zu zeigen. Der Landsitz der beiden (Eleanor Butler und Sarah Ponsonby) ist zeitweise Treffpunkt der englischen Intelligenzija. Außerdem haben sie sich als Gartenarchitektinnen einen Namen gemacht. Das hätte Anne interessiert. Und sie sind ein Paar. Das hätte Anne auch interessiert. Sie hat sich wirklich mehr von dem Besuch versprochen.
Seit 1825 fährt ganz in der Nähe von Shibden Hall die erste öffentliche Eisenbahn der Welt von Stockton nach Darlington (39 Kilometer) mit einer Geschwindigkeit von 17 kmh. Anne fährt begeistert mit. Ein Drittel der 36 Wagons ist mit Kohle beladen. Kohle, eine Branche für die sich Anne brennend interessiert und auch engagiert. Eine zeitlang macht sie damit eine ganze Menge Kohle im doppelten Sinn. Bis sie sich verspekuliert und anderen Geschäften zuwendet. Neben den Einkünften aus der landwirtschaftlichen Pacht gehören ihr Immobilien in Halifax, Anteile an der Kanal- und Eisenbahnindustrie, am Bergbau und an Steinbrüchen. Sie verpulvert ihr Vermögen auf Reisen und mit ununterbrochenen aufwändigen Um- und Ausbauten von Shibden Hall: Wasserfall mit See, Tunnel, Berglandschaften, Liebespavillons.
Sie sucht eine reiche Ehefrau, mit der sie all ihre exaltierten Projekte verwirklichen kann. Und sie findet schließlich eine. Die 12 Jahre jüngere Ann Walker (1803-1854). Wohlhabende Erbin und unsterblich in Anne verliebt, nachdem sie 1832 eine kurze Affaire mit ihr hatte.
Am Ostersonntag im Jahre 1834 gehen Anne und Ann gemeinsam zur Kommunion in der Holy Trinity Church, (Goodramgate, York) und gelten danach als verheiratet. Wie gesagt: Noblesse Oblige! Die Kirche gilt heute als Ikone für die erste lesbische Ehe in Großbritannien und trägt seit 2018 die blaue staatliche Regenbogen-Denkmalschutzplakette.
Ihre Hochzeitsreise machen die beiden in die Schweiz. Anne kann ihre neue Frau jedoch nicht fürs Bergsteigen begeistern. Das wird sich im Laufe der nächsten sechs Jahre noch ändern. Quasi. Ann Walker wird alles mitmachen. Auch ohne Begeisterung.
Und dann 1839 beginnt der beiden größte und letzte Reise. Zuvor verfassen beide ihre Testamente. Sie gewähren sich gegenseitiges Nießbrauchsrecht an ihren Anwesen und vermachen sich Anteile an ihren jeweiligen Vermögenswerten.
Anne und Ann sind übrigens nicht als Paar unterwegs, sondern als Tante und Nichte – Adny, wie Anne sie nennt, gibt sich als Gesellschafterin der etwas älteren Anne aus.
Sie verlassen Shibden Hall im Juni mit zwei Dienern und reisen in eigener Kutsche durch Frankreich, Dänemark, Schweden und Russland, wo sie im September in St. Petersburg und im Oktober Moskau erreichen. Ann Walker glaubt sich zunächst am Ziel angekommen, doch Anne will weiter. (Sie hegt den heimlichen Wunsch bis Persien zu reisen, nach Teheran und Bagdad) Sie hat den Bau einer Spezialkutsche mit einsetzbaren Kufen in Auftrag gegeben und widerwillig steigt Ann Walker ein.
Es soll (erst mal) nach Georgien gehen. Sie nehmen tonnenweise warme Kleidung mit. Es ist Winter, die Erde ist gefroren. Im Sommer bräuchten sie dreimal so lange. Da wären die Ufer der Wolga aufgeweicht und schlammig. Natürlich rät ihnen jeder und jede ihrer Freund_innen von dieser Reise ab.
Der Krimkrieg wird erst in einigen Jahren ausbrechen, aber schon jetzt führt die Reise durch konfliktreiche Gegenden – Zar Nikolaus der Erste stresst die Bevölkerung mit seinen enormen Besitzansprüchen. Die Ukrainer, Aserbaidschaner, Georgier usw. sind auf Krawall gebürstet, wenn sie Russisches nur riechen und sei es in Form zweier englischer Ladies auf der Durchreise. Anne und Ann müssen zeitweise von russischen Soldaten eskortiert werden.
Andererseits verschafft ihnen Annes adlige Herkunft die nötigen Passagierscheine und Einladungen in die Paläste und Anwesen an den Orten, die sie durchreisen. So werden sie immer wieder von den jeweiligen Landesfürstinnen und Fürsten großzügig aufgenommen und bewirtet!
In Georgien endlich angekommen holt Anne eine besondere Agenda aus dem Gepäck: drei Bände des in Paris erschienenen Reiseführers Voyage autour du Caucase von Frédéric Dubois. Sie will ihn akribisch abarbeiten. Die Ratschläge jedoch, die Herr Dubois zur Erhaltung der Reisegesundheit gibt, die will Anne, zum Leidwesen Adnys, leider nicht einhalten. Dubois schlägt vor, „während der heissen Tagesstunden im Juli und August, von zehn oder elf Uhr des Morgens bis drei Uhr des Nachmittags, nicht zu reisen“. Ann Walker hält sich dran, Anne Lister eher nicht. Während die anderen ihre Siestas abhalten, rast sie alleine los, bei teilweise bei 40 Grad im Schatten, und erklettert antike Ruinen. Auch Dubois Empfehlung sich in den Sommermonaten dünner zu kleiden, schlägt sie zunächst in den Wind. Irgendwann läßt sie ihre wollene Unterwäsche weg und wundert sich, wie gut es ihr plötzlich geht.
Die beiden reisen nun den Reiseführer ab, der sie von Tblissi nach Baku und wieder zurück nach Tiblissi führt, dann weiter nach Kutaissi. Anne Lister ist klassisch gebildet. Sie spricht Latein und Griechisch. Für sie ist die Reise durch den Kaukasus eine Reise durch die Antike. Sie will unbedingt nach Kutaissi, dem Wohnort der Medea, auch wenn er unter „vielen anderen Ruinen versteckt und nicht aufzufinden ist“, wie sie enttäuscht feststellen muss. Kutaissi ist ihr noch dazu zu heiss. Adny dagegen gefällt es bestens, sie hat sich schon längst eine luftige Reisekleidung zusammengestellt (daran sieht man Annes Sturheit, ihre Unbelehrbarkeit).
Adny ist übrigens eine begnadete Zeichnerin. Und während Anne ihre Tagebücher vollkritzelt, holt sie ihren Skizzenblock hervor. Leider sind ihre Zeichnungen unauffindbar… vielleicht sollte wer die Wandvertäfelung von Cliffe Hill, ihrem letzten Wohnsitz, abmontieren….
Von Kutaissi aus reisen die beiden an den Ufern des Rioni entlang kreuz und quer durch den „kleinen Kaukasus“, wie das Gebirge genannt wird (höchster Gipfel 3700 meter) im Gegensatz zum grossen Kaukasus, wo der höchste Gipfel, der Elbrus 5642 Meter hoch ist, der Mont-Blanc, der höchste Berg der Alpen ist nur 4696 m hoch). Den Elbrus will Anne gern besteigen, aber das Wetter läßt es nicht zu. Jedenfalls besichtigt Anne auf dieser Reise alle Bergwerke, die es gibt, um sich Anregungen für ihre eigenen zu nehmen. Sie überqueren einen Gletscher und dringen zu einer der vielen Quellen des Rioni vor – als erste Europäer und Europäerinnen überhaupt. Vielleicht als erste Menschen?
Am 2. August 1840 verbringen Anne und Ann eine Nacht in einem winzigen Dorf. Sie gehen von Tür zu Tür und entscheiden sich weiterzuziehen, weil die Bewohner der Häuser „blass wie Gespenster“ sind, weil sie vom „heissen Fieber“ (Pest? Es gab zu dieser Zeit eine Pestepidemie) befallen sind. Es regnet in Strömen. Schließlich finden sie ein „ordentliches Haus“ mitten im Dorf. Die Kinder werden aus ihren Betten geschmissen, um den Gästen Platz zu machen. Dubois warnt davor sich in dieser Gegend im Juli oder August wegen „der erstickenden Hitze und der vergifteten Feuchtigkeit“ aufzuhalten.
Man könnte daran sterben. Anne und Ann brechen ihre Reise ab. Der Großteil ihrer Pferde sind lahm und ihre Begleiter wollen bei der feuchten anstrengenden Hitze nicht mehr weiter. Sie reiten zurück nach Kutaissi. Aber Anne will unbedingt in das Zehenistskali-Tal. Das, laut Dubois, als eines der schönsten Täler des Kaukasus sei. Nach einer kurzen Verschnaufpause machen sie sich erneut auf den Weg ins Gebirge. Diesmal von der anderen Seite über Sugdigi und Dschwari.
Am 11. August 1840 reiten Anne und Anne um 7:30 am Enguri entlang und frühstücken in Dschwari in einer leeren Hütte. Von 9-14 Uhr machen sie Siesta und reiten dann weiter nach Satschino. Um 17 Uhr beginnt es zu regnen und sie irren herum, bis sie nach etwa zwei Stunden eine Maisscheune aus Weidengeflecht finden. Sie breiten ihre Decken auf dem Stroh aus. Anne schreibt: Jetzt, um 8:25 Uhr, habe ich gerade die letzten 19 Zeilen geschrieben. Im Norden Berge, davor bewaldete Bergrücken, hier und da kleine bewaldete konische Gipfel. Die Hügel an den Seiten eingekerbt, kleine konische Gipfel auf den seitlichen Bergrücken. Tee usw. jetzt um 8:25. Legen wir uns um 9:30 (also 21:30) hin“. Zwei untypische Wiederholungen. Die Uhrzeit, die konischen Hügel.
Es ist Anne Listers letzte Tagebucheintragung – am 11. August 1839. Sie lebte noch sechs Wochen ohne zu schreiben. In ihrer Todesanzeige steht: Anne Lister stirbt am 22. September 1840 in Kutaisi an „heissem Fieber“. Woran sie wirklich gestorben ist, kann niemand wissen. Wie sie nach Kutaissi gekommen ist, auch nicht. Angela Steidele meint, dass sie schwach und krank vielleicht vom Pferd gefallen sein könnte, sich die Hand bricht und nicht weiterschreiben kann. Was sie so geschwächt hat, ob sie sich die Pest, die Cholera oder Typhus eingefangen hat, ist nicht herauszubekommen.
Ihr Begräbnis findet am 29. April 1841 in Halifax statt.
Ann Walker läßt Anne in Moskau einbalsamieren und dann zurück nach Istanbul bringen, damit sie, also der Sarg mit ihr, übers Mittelmeer bis nach England reisen kann.
Es ist schön, dass sie als Tote nochmal eine so lange Reise macht. Und vor allem eine neue.
Ann Walker lebt noch zwei Jahre auf Shibden Hall, bis es Anne Listers böse Verwandte schaffen, sie in die Psychatrie einweisen zu lassen. Sie kennt den leitenden Direktor (es ist Marianas Vater), der sie kurze Zeit später entläßt. Sie bezieht ihr eigenes Landgut, Cliffe Hall, wo sie 1854 stirbt.
Anne Listers Grabstein ist zerbrochen. Ob absichtlich oder nicht ist ungewiss. Auf jeden Fall wird er erst um die Jahrtausendwende wiedergefunden, als der Friedhof von Halifax umfassend renoviert wird.
Anne Listers Tagebücher gehören seit 2011 zum Weltdokumentenerbe der UNESCO.
2017 erschien eine deutschsprachige Biografie von Angela Steidele (Anne Lister. Eine erotische Biographie), die 2018 auch auf Englisch veröffentlicht wurde.
Angela Steidele hat die kaukasische Reise mit ihrer Ehefrau Susette 2018/19 wiederholt. Sie kam lebend und mit einem unverschlüsselten Reisebericht zurück (Titel: Zeitreisen – vier Frauen, zwei Jahrhunderte, ein Weg).
Auch Angela und Susette zeigen sich auf dieser Reise in der Öffentlichkeit nicht als Paar, legen noch zu Hause ihre Trauringe ab. Die Lesungen und Vorträge über Anne Lister, die Steidele unterwegs in Sankt Petersburg, Moskau und Tbilissi hält, werden nur über geheim gehaltene Mailing-listen beworben und müssen vor Schlägern geschützt werden. Dass die Ehe-für-alle plötzlich in Deutschland Wirklichkeit geworden ist, erfahren die beiden erst auf der Heimreise.
Die fünf wichtigsten Geliebten von Anne Lister:
Eliza Raine (1793–1860), ist von 1809 bis 1815 Listers erste grosse Liebe, sie hat sie auf dem Internat kennengelernt. Sie schwören sich ewige Treue. Das haut natürlich nicht hin.
Isabella Norcliffe, genannt Tib (1785-1846) ist von 1812-1826 Listers beste Freundin. Tib ist immer mal wieder in Anne Lister verliebt und lebt oft monatelang auf Shibden Hall, Annes Landsitz. Mariana Belcombe (1790-1868), die spätere Mariana Lawton, ist von 1812-1829 Annes grosse, grosse Liebe. Sie hoffen beide inständig, dass ihr alter Ehemann stirbt. Tut er aber nicht. Im Gegenteil, er kommt hinter das Verhältnis und verbietet Mariana den Umgang mit Anne Lister. Maria Barlow (Witwe in Paris), hat mit Lister zwischen 1825-1827 eine On-Off-Beziehung. Sie leben zusammen mit Marias 13jähriger Tochter in Paris in einer gemeinsamen Wohnung immer dann, wenn sich Anne in Paris aufhält. Dort gibt es einige Frauen, die Zylinder tragen, wie Anne irgendwann auch, die romantische Dichterin George Sand (Aurore Dupin) zum Beispiel.
Und schließlich Ann Walker (1803-1854), eine wohlhabende Erbin, die sie
1834 am Ostersonntag (30. März) öffentlich heiratet und mit der sie bis zu ihrem Lebensende zusammen bleibt.