Zur langen Nacht des Bildes 2017 hatte paul+paula eingeladen: eine Woche vor der Bundestagswahl, der Buchladen hatte sein Schaufenster leergeräumt für ein Bild der ehemaligen Brache aus dem Quartier, gemalt von Julia Sand 2014, drapiert am unteren Rand von den „berliner heften zu geschichte und gegenwart der stadt“.
Die Kinder der Autoren der „hefte“ konnten sich im hinteren Abteilung der Buchhandlung vergnügen, während die Erwachsenen die Buchvorstellungen bestritten: einer Einleitung zu Werdegang und aktuellen Vorhaben der „hefte“ folgte das Vorlesen aus dem „heft 1 – mauerpark“, erschienen 2014. Das Vorlesen beschränkte sich auf das Wiedergeben der Aufzeichnungen einer Sitzung aus dem Berliner Abgeordnetenhaus, in der die politischen Akteure ihre Standpunkte und aktuellen Absichten Revue passieren liessen. Dabei agierten die Macher abwechselnd in den „Sprechrollen“ unserer repräsentativen Demokraten : die Frage, ob und dass hier ein Park, in welcher Grösse und mit welcher Bebauung, welche planerischen Rahmenbedingungen, welche Profiteure und welche Profilneurosen, hatte sich über ein Viertel Jahrhundert entwickelt und bestimmte die Debatte. Gespickt mit noch ein paar Zusatzinformationen und der Beantwortung von Fragen im Publikumsgespräch ergaben sich Zusammenhänge, die sinnbildlich für unsere gegenwärtige Planungs- und Baukultur stehen.
Anders als der „Mauerpark“, das unbebaute Areal, das oberhalb der Bernauer Str. beginnend und sich weit über die Gleimbrücke hinstreckend heute Wedding und Prenzlauer Berg, vormals Berlin W und O trennt, hat die von Julia Sand in 2014 gemalte „Brache“ – auch „Knorre“ genannt, nicht und nie diese Aufmerksamkeit auf der „politischen Bühne“ gehabt. Jedoch sei kurz erinnert, wie Ende der 90er Jahre eine Bürgerinitiative aus unserem Quartier das Projekt betitelte: die Brache ist die Oase. Da die Victoriastadt Sanierungsgebiet war, wurden Fördermittel in Aussicht gestellt – die Zwischennutzung war gesichert, der städtebauliche Vertrag war für Investoren – noch – nicht lukrativ genug, der Bebauungsplan brauchte 12 Jahre und die heutigen Granden der Berliner Politik – Fr. Lompscher und Hr. Geisel – waren damals im Bezirk abwechselnd die Verantwortlichen. Heute sind hier161 Wohnungen gebaut, Tiefgarage und KITA – blockrandschliessend – und angesichts der grossen Dränge und Drücke auf dem Berliner Immobiliensektor scheinen Verluste von „Freiräumen“ dieser Grössenordnung nur eine Spielwiese für andere Verdichtungen und Verdrängnisse in unserem Grossstadtdschungel. Die beiden Lokalpolitiker sind heute Senatoren des Landes Berlin, und die kritische Nachfrage wurde im Publikumsgespräch gestellt, was sich wohl in der laufenden Legislaturperiode ändern mag.
Ohne Frage keine Frage an die anwesenden „heft“ Macher, die auch ihr „heft 2“ dabei hatten, mit dem Titel „die Legende vom Sozialen Wohnungsbau“, erschienen 2016, 2.Auflage. Aus diesem Heft wurde nicht vorgelesen. Der rund 80seitige Aufsatz von Andrej Holm bildet den Kern dieser Ausgabe. In all seinen Rechercheergebnissen zur Bauökonomie Berlins, beginnend in den 50ern bis in die heutige Zeit, mit Schautafeln und Statistiken und Zahlen im Text, sowie den durchaus lesenswerten 100 Endnoten ist er als Abhandlung fachlich fundiert, doch kaum für eine Buchvorstellung im „halböffentlichen Rahmen“ geeignet.
Auflockernd sind die s/w Fotos im Heft, die Szenen um das Kottbusser Tor aus den 70er Jahren „aus dem Fundus des Onkels Steffen Osterkamp“ zeigen und die Flyer, Plakate und Demo Bilder aus dieser Zeit, die vergegenwärtigen, wie klar und verständlich Widerstand artikuliert wurde.
Die Widersprüchlichkeit von sozialem Anspruch und dividendenorientierter Baupolitik in Textform ist Schwarzbrot – heute für HU Studenten. In den 80ern waren es die Seminare eines Klaus Novy für Bauökonomie mit den Themen Genossenschaft, partizipativem Bauen und Selbsthilfe, und in den 90 er war dann das Quartier Victoriastadt um die Pfarrstraße das Areal mit den meisten „baulichen Selbsthilfeprojekten“ in ganz Berlin. Zumindest fördertechnisch waren die Nachwehen der „behutsamen Stadterneuerung“ herübergeschwabt.
Im Rahmen der „Nacht der langen Bilder“ war ausserdem in der Buchhandlung ein Bild von Julia Sand ausgestellt, das sich als Leinwand das Spielbrett eines MONOPOLY Spieles zu Nutze machte. Erneut war hier die Brache als „Luftbild“ aufgemalt, ergänzt um den halben Gründerzeitblock, der hier an das vormalige Fabrikareal der Knorrbremsenfabrik angrenzt: sechs der hier erkennbaren Häuser waren mit dem Förderprogramm des Landes oder gar des Bundes von sich dafür konstituierenden Hausgemeinschaften aus einem vollkommen ruinösen Zustand in den heutigen Gründerzeitchique zurückverwandelt worden – getreu dem Motto, dass ein investierter Euro in ein Sanierungsgebiet sechs weitere aus der Privatwirtschaft nach sich ziehen möge.
Andrej Holm verweist in seinem Aufsatz darauf, dass im Sozialen Wohnungsbau der findige Investor sich seine investierte Mark bis zu dreimal zurück überweisen lassen konnte – anderweitig war Berlin-W nun mal nicht attraktiv für den Immobilisten. So konnte man an diesem Abend als Bewohner unseres schönen Stadtteils sein Fazit sinnbildlich mit nach Hause nehmen.
T.Lang