Ronald Reng – 1974 Eine deutsche Begegnung

Die Zahlen zählen dann – wie die Worte bleiben. Und wenn es 50 Jahre her ist, und wenn man sich denn als Schriftsteller (oder zumindest als gelernter Journalist) ausweist, so werden schnell mal 400 Seiten Wörter aneinandergereiht, und ein Spielbericht nicht auf drei Zeilen eingedampft – wie der Autor mit einem Anflug von Selbstironie mitten im Buch anmerkt, um dann das knappe Protokoll des Einsatzleiters der Polizei zu dem Fussballspiel wiederzugeben, das dem Buch den Titel und Inhalt gab.

Aber Ronald Reng hat eben auch viel mehr zu erzählen, hat sicher über Jahre recherchiert, hat Interviews geführt mit Jutta Hölzenbein, Roland Jahn, Jutta Wachowiak und Matthias Brandt. Und er hat den Anspruch, die 90 Fussballminuten um den längsten Tag im Juni 1974, als Westdeutschland Ostdeutschland in der Vorrunde 0:1 unterlag, um dann Tage später Weltmeister zu werden, die Jahre zuvor und hernach zu illustrieren, deutsch/deutsch, politisch/gesellschaftlich/kulturell. 

So sollte man heute Geschichte in der Schule gestalten, interdisziplinär, und landet zurecht in der Champions League – hier in der Tabelle der Spiegelseller.

Und da das eine Buchempfehlung für den frauengeführten Buchladen im Lichtenberger Kleinod sein soll, sei hier einfach Käthe Tucholla erwähnt, die in unseren Straßen zuhause war, die zu DDR Zeiten mit einer Briefmarke als Hockey Spielerin geehrt wurde, die in Nazizeiten hingerichtet wurde. Findet sie expressiv verbis keine Erwähnung in diesem Buch, so weiss das Buch in etlichen Passagen zu illustrieren, wie Sport und Politik miteinander verwoben waren und sind, wie Akteure manipuliert wurden und werden, wie sie sich ihre Autonomie erarbeiten, über Wasser bleiben oder untergehen.

Und da Plenzdorf`s „Leiden des… `74 im Westen tatsächlich eigener Unterrichtsstoff war, dieser Schriftsteller in einer doch schon damals derangierten Lichtenberger Neubauwohnung von eben diesem Spiegel aufgesucht wurde (wie R.Reng in einer Fussnote anmerkt), sein Stück zeitgleich im DT lief, als Sparwasser das 1:0 schoss, Magdeburger Fans noch heute – und auch noch in 50 Jahren auf ihren Fahrten zu den Auswärtsspielen „Ostdeutschland“ skandieren werden und dem kandierten Fortunenanhang lautstark und authentisch vermitteln, was eine „echte“ Anhängeridentität ausmacht, und da fast jeder (und/oder jede) eine WM oder WHATEVER hat, mit der sie erwachsen werden, ist das ein Buch zum Lesen, drei Wochen vor, aber auch mit und nach der anstehenden EM – Ähm . 

Ein Lesetipp von T.Lang