Edward Abbey – Die Einsamkeit der Wüste.
Wüste. Es ist hierzulande kaum vorstellbar, was genau Wüste ist. Edward Abbey hat sich der Wüste ausgesetzt, über Jahre. Zu Beginn der 50er Jahre arbeitete er als ‚Ranger’, das ist so eine Art Aufseher, im ‚Arches National Monument Park’ im südlichen Utah. Arches sind Sandsteinbögen, die von den Gezeiten in das Gestein gefräst wurden. Manche sind über 90 Meter hoch. Der ‚Arches National Monument Park’ ist ein weitgehend unbewohntes Areal, etwa 310 km2 groß, das entspricht einem Drittel der Fläche von Berlin. Im Sommer schnell über 40 Grad heiß, im Winter kalt und frostig, mit vielen Schneestürmen. Ein unwirtliches Areal also, und ein eigenartiges Biotop, das Edward Abbey während seiner Arbeit dort sehr zu schätzen gelernt hat.
Er beschreibt diese Wüstenlandschaft mit ihren monumentalen Gesteinsformationen und ausladenden Geröllflächen (viele Westernfilme wurden in diesem Park gedreht) und der bisweilen bizarren Vegetation detailgenau.
In seinem Schreiben verdeutlich Abbey, wie sehr in dieser Welt alles aufeinander abgestimmt und eingestellt ist. Jeder Eingriff von außen führt zu tief greifenden Veränderungen des Ganzen. Nicht immer jedoch war dieses Land unbesiedelt.
An vielen Stellen trifft Abbey auf Spuren der Pueblo-Indianer, der so genannten ‚Anazasi’. Diese bauten Häuser aus Stein und Lehm in riesigen Felshöhlen, die vor Jahrmillionen durch unvorstellbare Wassermassen in die Felsformationen der heutigen Wüste gewaschen wurden. Die ‚Anazasi’ lebten in dorfähnlichen Gemeinschaften. Ihre Lebensgrundlage waren Ackerbau und die Jagd. Sie hinterließen auch großformatige Zeichnungen von Tieren und menschenartigen Wesen an vielen Felswänden. Teilweise finden sich dort auch Pferdedarstellungen, was vermuten lässt, dass sie noch zur Zeit der Spanier dort lebten, weil diese bekanntlich das Pferd nach Amerika gebracht. Niemand weiß, warum sie ihre Behausungen schließlich verließen, und wohin sie gingen. Es wird vermutet, dass Klimaveränderungen mit anhaltender Dürre sie vertrieb und sich die ‚Anasazi’ in andere indianische Kulturen eingliederten.
Kenntnisreich und klug verwebt Abbey derart historisches Material mit Geschichten aus der Gegenwart. Siedler und Glücksritter versuchten immer wieder, sich in dem Areal anzusiedeln, oder dort wenigstens Bodenschätze zu finden. Viele dieser Unbedarften wurden von der Wüste verschlungen. Abbey ergänzt solcherlei Erzählmaterial durch philosophische Exkurse zum Wesen der Wüste, und lässt darin vollkommen selbstverständlich Zitate von Shakespeare über Rilke bis in hin zu alten Folksongs einfließen. Er ist ein gebildeter Erzähler, der nie einsilbig oder ermüdend schreibt.
Doch ist es nicht allein die Kunst des Erzählers Edward Abbey, der dieses Buch zu etwas ganz besonderem macht, sondern auch die Gestaltung des Buches durch die Herausgeberin Judith Schalansky.
Schalansky hat Kunstgeschichte und Kommunikationsdesign studiert.
Seit 2013 gibt sie die Buchreihe ‚Naturkunden’, in der ‚Die Einsamkeit der Wüste’ erschienen ist, beim Matthes und Seitz-Verlag heraus. Sie hat den Text durch zahlreiche Fotos aus dem ‚Arches National Monument Park’ ergänzt, die eindrucksvoll zeigen, was für eine gewaltige Einsamkeit sich in einer derartigen Wüstengegend um jeden einzelnen Menschen ausbreiten kann.
Wobei Abbey in diesem Buch die Vergangenheit schildert. In der Gegenwart ist das Gelände von zahlreichen Asphaltstrassen durchzogen, die von Einkaufsmöglichkeiten gesäumt sind, Die Gefahr, im Park zu verdursten, wie Abbey es immer wieder schildert, ist heute wohl eine sehr geringe.
Trotzdem bleibt, wie Abbey konstatiert, ein Geheimnis: „Inzwischen bin ich davon überzeugt, dass die Wüste kein Herz besitzt, dass sie ein Rätsel darstellt, das keine Lösung hat, und dass das Rätsel selbst eine Illusion ist, die aus einer Beschränktheit oder Überspitzung des entwurzelten menschlichen Bewusstseins rührt.“
M. Freerix
Edward Abbey – Die Einsamkeit der Wüste
Eine Zeit in der Wildnis
Matthes & Seitz
Reihe: Naturkunden
343 Seiten, Softcover Leinenband
Übersetzung: Dirk Höfer
Erschienen: 2016
ISBN: 978-3-95757-355-1
Preis: 32,00 €
Matthes & Seitz – Edward Abbey