Emmanuel Carrère – Limonow

Emmanuel Carrère – Limonow

  • Wer war Limonov?
    Nach diesem Buch ist man schlauer.
    Der 76-jährige Eduard Weniaminowitsch Limonov lebt heute im Moskauer Unter- grund. Er wechselt wöchentlich seinen Wohnsitz, um nicht eingebuchtet zu werden. Das „System Putin“ hat er durchschaut. Er ist Gründer und „graue Eminenz“ der verbotenen Partei NBP (Nationalbolschewisten), einer nationalistischen Gruppe, die Stalin und Mussolini verehrt. Laut seinem Biographen gab es Momente, da hätte er es in die Position Putins schaffen können.
    Als sowjetisches Arbeiterkind aus der Provinz macht er sich in den 60er Jahren auf nach Moskau, hält sich über Wasser als selbsternannter Hosenschneider und Lyriker. Wird wegen seiner kritischen Gedichte des Landes verwiesen und geht nach New York. Dort startet er durch.
    Sein Roman „Fuck off Amerika“ macht ihn zum Kultautor. Sein dandyeskes Leben als Provokateur verschlägt ihn nach Paris, wo er Anfang der 80er die französische Staatsbürgerschaft erhält. Trotz seiner sexuellen Beliebtheit bei Frauen und Männern durchläuft er zwei Ehen voll leidenschaftlicher Bindung, die an der Wildheit seiner Ehefrauen scheitern.
    In den 80er Jahren verschwindet er von der Bildfläche und taucht plötzlich mitten im Balkankrieg wieder auf, als Tschetnik auf der Seite der Serben, als Legionär Karadzics.
    Ob er hier zum Mörder wurde, das gelingt Carrère, trotz geschickter Interviewtechniken nicht herauszubekommen.
    Wie alle Portraits von Emmanuel Carrères enthält auch dieses Elemente eines kritischen Selbstportraits. Wieder und wieder zieht er sein Interesse an seinem Gegenüber in Zweifel.
    Beim Lesen ergreift einen sowohl unfassbares Entsetzen, als auch unerwartete Faszination. Limonow bringt das Böse zum Funkeln.
    Was ist zur Zeit in Russland los?
    Nach diesem Buch ist man schlauer.

Emmanuel Carrère könnte man als einen französischen Truman Capote bezeichnen. Er selbst distanziert sich von diesem Vergleich, weil er nicht, wie Capote, warte, bis seine Protagonisten tot seien, sondern es riskierte sich deren Kritik auszusetzen.
Für Limonov wurde Carrère 2011 mit dem Prix Renaudot und dem Prix de la langue française ausgezeichnet.

Weitere ins Deutsche übersetzte dokumentarische Romane von Emmanuel Carrère: Der Widersacher, Amok, Das Reich Gottes, Alles ist wahr und Brief an eine Zoowärterin aus Calais.

Ein Lesetipp von Elfe Brandenburger



btb, München, 2014 – 11,00 €
Originalausgabe Limonov, Paris 2011
Deutsche Übersetzung von Claudia Hamm
ISBN 978-3-442-74718-4

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vonpaula

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