Navid Kermani – Das Alphabet bis S

Schon eine Anmassung: eine Buchempfehlung für den „lang erwarteten Roman“ von N.Kermani – einem der renommiertesten Intellektuellen in diesem Lande (Klappe -n- Text) :

Ja, ich habe die knapp 600 Seiten gelesen – und ich ward gut unterhalten : Der Aufbau des Wälzers ist weit- gehend gelungen – und kam gelegen: ich nenne das jetzt einmal der formhalber ein Journal.

Angelehnt an das franz. Wort ein Tagwerk an ein Weiteres gereiht – Träumereien, Erlebnisse, tiefgründigste philosophische Essays, Gedanken zum aktuellen Weltgeschehen des letzten Jahres und als Rahmenhand- lung das professionelle Tun um die Religionen dieser Welt, das private Erleben mit dem geschiedenem Mann (das ganze wird ja aus der Perspektive der Frau geschrieben – gender Shrek lass nach), der verstor- benen Mutter, dem verbliebenen Vater, der durchweg gesiezt wird, der aus dem Iran „stammenden Gross- familie“ anundfürsich, dem gerade noch einmal von der „Schippe springenden“ halbwüchsigen Sohn – …. Ach ja, eingebettet in das Alphabet bis S:

Gefiel mir von Anfang der Gedanke, vor der Bücherwand in den eigenen vier Wänden stehend, sich an all dem Ungelesenen abzuarbeiten, den Namen der Autoren folgend. Natürlich nicht stringent, eher sprunghaft, und unorthodox, so wie das Leben so spielt, fahrig und immer wieder höchst amüsant assoziierend. Irritierend auf jeden Fall – natürlich – angreifbar – sowieso – aber eben auch sympathisch, mit so einem bele- senen, reflektierenden Denker und Schreiber in seine Abgründe und Winkel zu tauchen, zu erleben, wie er sich erschöpft und bereichert im Universum der Literatur.

Gedichte werden nahe gebracht, und machen neugierig, selber z.B. Emily Dickinson zu lesen (und die mit- abgedruckten engl. Originalfassungen selber zu übersetzen), Gedanken zur Religion und unserem ganzen Überbau, europäisch gebildet, aufgeklärt und vielleicht noch bereit darüber hinaus zu blicken ?

Und natürlich gibt es Hänger, Überflüssiges – hätten es vielleicht auch ein/zweihundert Seiten weniger sein können …? Doch was für eine Anmassung – die Jahrestage von U.Johnson bringen es auf das Dreifache – und können gerne noch zwei/drei Mal gelesen werden – Kermani `s Werk ist ideal für den Sommer und eine grosse Reise wert – auch blieb es bis zuletzt für mich ein Thema, was sich der Mann denn anmasst, sich in diese Frauen Perspektive zu begeben – doch zum Glück bin ich kein professioneller Kritiker, der sich ja sol- che Gedanken (nach N.Kermani) zu verbieten hat: frei nach Richard Ford im Interview im Spiegel 33/2023 : “Jedes kreative Schreiben – ob ein Essay, ein Gedicht, ein Roman – ist doch zuallerst nur ein Vorwand, um etwas zu sagen. Oft sind das gar nicht mal Dinge, an die ich selbst glauben würde. Es sind einfach Dinge, dich ich gern sagen will. Dinge, mit denen ich den Leser in die Lage versetzen möchte, ein produktives Ge- spräch zu haben.“

Ein Lesetipp von Thomas Lang