Vatermal von Necati Öziri, (steht auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises 2023)
Ist Necati Öziri der deutsche Edouard Louis? Man könnte auf diese Idee kommen, aber bisher ist nur ein Roman von Necati Öziri erschienen, vielleicht zu wenig um die beiden Autoren miteinander zu vergleichen.
Vatermal von Necati Öziri beginnt mit einer reichlich typisierten Rahmenhandlung. Beim Lesen frage ich mich augenrollend, in welchem Schreibseminar ihm wohl diese Empfehlung mitgegeben wurde.
Also: dem Protagonisten wird eine sehr schwere Lebererkrankung diagnostiziert und im Krankenhaus liegend denkt er über sein Leben nach.
Seine Mutter und seine Schwester sind verstritten und reden seit 10 Jahren kein Wort miteinander.
Seinen Vater hat er nie kennengelernt. Er wendet sich an diesen unbekannten Vater und fängt ein inneres Zwiegespräch an.
Er möchte dem Vater die Möglichkeit nehmen, so zu tun als hätte es ihn nie gegeben. Und deshalb erzählt er ihm alles, sein ganzes, verpfuschtes Leben.
Cut/ und dann beginnt der Roman.
So holprig der Roman startet, so geschmeidig geht er weiter. Necati Öziri erzählt mit einer kraftvollen eigenen Sprache, direkt unverblümt, unsentimental, humorvoll und völlig frei von Klischees.
Er nimmt uns mit in das Leben seiner Kindheit in einem trostlosem Bahnhofsviertel in einer grauen Stadt im Ruhrgebiet.
Er wächst auf zwischen Dönerbuden, Alkoholismus, Gewalt und den deutschen Behörden. Er hängt mit seinen Freunden rum, alle aus schwierigen Verhältnissen wie er, ohne Hip Hop und Dope geht gar nichts, und er wird der Einzige sein, der sich gegen den vorgezeichneten Weg entscheidet.
Wikipedia schreibt:
Er zeichnet sich durch seine Fähigkeit aus, akademischen Diskurs und Alltagssprache zu verbinden.
Nochmal zu Edouard Louis, Parallelen gibt es einige.
Beide Autoren wachsen in einfachen, bildungsfernen, sozial schwierigen Verhältnissen auf.
Beide entscheiden sich für das Schreiben und beide beschreiben in ihrem ersten Buch mit einer starken, bildhaften sehr eigenen Sprache die Geschichte ihrer Kindheit und das wachsende Bewusstsein, sich fremd im eigenem Leben zu fühlen.
Beide überwinden die Klassenschranken und werden zu Stars der Pariser/Berliner Intellektuellen/Theater Szene.
Eine klare Leseempfehlung!
Ein Lesetipp von Anet