Zum Tod von Maryse Condé

Maryse Condé wurde 1934 in Pointe-à-Pitre auf Guadeloupe geboren.
Sie studierte Vergleichende Literaturwissenschaften an der Sorbonne und promovierte über Stereotypen von Schwarzen in der karibischen Literatur. Zusammen mit ihrem ersten Mann, Mamadou Condé, einem Schauspieler aus Guinea, lebte sie in Westafrika, unter anderem in Mali, Ghana und Guinea. Später lehrte sie frankophone afrikanische Literatur an der Sorbonne und der Columbia University in New York. Maryse Condé erhielt mehrere renommierte Auszeichnungen, darunter den Prix de l’Académie Française, den Prix Marguerite Yourcenar sowie den Alternativen Literaturnobelpreis. Im Jahr 2020 wurde ihr in Frankreich der nationale Verdienstorden verliehen.

Mit ihrem zweiten Mann, dem Übersetzer Richard Philcox, lebte sie abwechselnd in New York, Südfrankreich und Guadeloupe. Am 2. April 2024 verstarb Maryse Condé im Alter von 90 Jahren in Apt bei Marseille. Zufälligerweise ist das Jahr 2024 auf ihrer Heimatinsel Guadeloupe Maryse Condé gewidmet.

Mein perönlicher Einstieg in Condés Werk war ein Roman, den sie 1986 geschrieben hat: Moi, Tituba sorcière noire de Salem (Ich, Tituba, die schwarze Hexe von Salem. München 1988, ISBN 978-3-426-08074-0). Dieses faszinierende Buch, übersetzt von Ingeborg Ebel (leider vergriffen), erzählt die Geschichte der Sklaventochter Tituba, die zusammen mit ihrem Mann an einen Pfarrer in Salem, Neuengland, verkauft wird. Das kleine Dorf gerät aufgrund ihrer Hautfarbe und ihrer ungewöhnlichen Fähigkeiten Menschen zu heilen, derart in Panik, dass es sie beschuldigt, eine Hexe zu sein. Condé lenkt mit dieser Erzählung die Aufmerksamkeit auf die zahlreichen Hexenprozesse gegen schwarze Frauen, die bis dahin weitgehend unerwähnt geblieben waren.

Meine Begeisterung für Condé führte dazu, dass ich sie nach einer Lesung in Berlin ansprach und ein längeres Interview mit ihr führte. Sie lud mich daraufhin in ihr Haus auf Guadeloupe ein und ich beschloss, inspiriert von ihrem Roman Traversée de la Mangrove (Unter den Mangroven, 1991, ISBN 978-3-426-03123-0) dort einen fiktionalen Dokumentarfilm zu drehen (er wird in den kommenden Wochen bei Vimeo zu sehen sein – bei Interesse sind Link und Passwort in der Buchhandlung Paul+Paula zu erfragen). Der Film portraitiert die Aktivitäten kunstschaffender Frauen auf Guadeloupe und ist von der Dramaturgie her, wie in Condés Roman, an die Struktur einer Veillée (Totenwache) angelegt. Selbstredend, spielt Maryse Condé in diesem Film eine zentrale Rolle. 

Gegen Ende ihres Lebens verfasste Maryse Condé zwei äußerst lesenswerte Autobiografien, von denen ich im Folgenden kurz berichten möchte.

Mein Lachen und WeinenWahre Geschichten aus meiner Kindheit
Litradukt Literatureditionen, Trier 2020, ISBN 978-3-940-43535-4

In „Mein Lachen und Weinen“ erzählt Maryse Condé von ihrer Kindheit auf Guadeloupe, wo sie als Kind einer wohlhabenden schwarzen Familie in der Hauptstadt aufwuchs. Die Familie identifizierte sich ganz selbstverständlich mit der französischen Kultur, bis sie feststellen musste, dass die Franzosen die Sache mit der Zugehörigkeit ganz anders sehen. Sehr plastisch zeigt sie die Tragik einer Gesellschaft, die ihre afrikanischen Wurzeln verleugnet und sich ganz an Frankreich ausrichtet. Siebzehn Erzählungen, in denen hinter dem Persönlichen immer wieder die soziale Wirklichkeit und die großen Fragen der Zeit sichtbar werden.

Biografie über Maryse Conto
Das ungeschminkte Leben von Maryse Conde

Das ungeschminkte Leben Autobiographie
Luchterhand, München 2020, ISBN 978-3-630-87633-7

In „Das ungeschminkte Leben“ nimmt uns Maryse Condé mit auf eine Reise durch ihre jungen Jahre, die sie als ledige Mutter von Paris nach Westafrika führt. Dort erlebt sie hautnah die historisch und politisch brisante Phase der Entkolonialisierung in den sechziger Jahren – von der Ermordung Patrice Lumumbas im Kongo über den Putsch in Ghana bis zur grausamen Herrschaft Sékou Tourés in Guinea. Während dieser Zeit begegnet sie auch wichtigen Autoren wie Aimé Césaire, Frantz Fanon und Léopold Senghor.

In diesem zweiten Teil ihrer Autobiografie reflektiert Condé den Aufbruch und die Enttäuschungen des Postkolonialismus, die Illusionen der „Négritude“ und die vergebliche Suche nach den afrikanischen Wurzeln. Besonders eindrucksvoll ist die offene und selbstkritische Darstellung ihrer jungen Jahre, in denen sie sich haltlos „im Zirkel der linken Langweiler“ nach Liebesabenteuern sehnt und sich mit vier unehelichen Kindern durchs Leben kämpfen muss. Erst mit über vierzig Jahren beginnt sie, aus ihrem unglücklichen Leben heraus großartige Literatur zu schreiben. Sie hat über 50 Romane, Theaterstücke, Erzählungen und Kinderbücher geschrieben.

Ein Text von Elfe Brandenburger

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